
In dem Film „The Wisdom of trauma“ von Dr. Gabor Mate vergleicht der bekannte Traumatherapeut das Trauma mit einem Affen auf unserem Rücken. Für mich ist der Affe ein Synonym für Trauma geworden. Es gibt Zeiten, da ist der Affe kaum zu spüren. Ich würde sagen, dass er dann schläft. Das andere Extrem ist, wenn der Affe auf dem Rücken tobt, sich festkrallt und er nicht überhört oder gar ignoriert werden kann. Dann ist es so, als wären Affe und Mensch eins. Dazwischen gibt es alle möglichen Nuancen. Ein wichtiger Schritt der Erkenntnis ist, dass Mensch und Affe eine Zweiheit bilden. Ein Trauma kann man nicht wegmachen. Der Affe gehört dazu. Er ist ein ganz persönlicher Affe und Teil der Lebensgeschichte. Und dennoch ist es so sehr essentiell, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass Mensch und Affe zwei verschiedene Wesen sind. Es kann ein Rettungsanker sein, diesen Unterschied klar zu bekommen. Besonders dann, wenn der Affe brüllt und tobt und die Gefahr besteht, wieder im Chaos zu versinken. Zu wissen, dass er sich wieder beruhigen wird und dass dieses Ohnmachtsgefühl, welches in diesen Affentobsuchtsanfällen die vorherrschende Wahrnehmung ist, wieder verschwinden wird. Wiederum gibt es Zeiten, in denen Ruhe einkehrt, fast schon andächtig wird der Affe auf den Schoß geholt. In der Akzeptanz dessen was ist und war, kann so etwas wie Versöhnung stattfinden. Das Trauma wird immer ein Teil der eigenen Lebensgeschichte bleiben. Wir können es nicht ungeschehen machen. Doch können wir lernen mit dem Trauma-Affen zu leben. Er wird für immer auf dem Rücken bleiben. Daraus kann eine Stärke entstehen.

"Es ist das Ende der Welt" sagte die Raupe. "Es ist erst der Anfang" sagte der Schmetterling. Das Bild der Entwicklung eines Schmetterlings beschäftigt mich sehr. Zuerst die Raupe, die ungefähr 4 Wochen lang frisst sich häutet und weiter frisst, bis sie sich verpuppt. Dort in diesem Kokon verliert die Raupe ihre Existenz. Sie löst sich auf. Es entsteht sozusagen eine lebendige Raupensuppe, die alles beinhaltet was der zu werdende Schmetterling benötigt. Spannend ist auch, dass einige Mini-Gewebeanteile der Raupe übrigbleiben und die Basis für den Schmetterling bilden. Dann entwickelt sich der neue Schmetterling, um am Ende aus seinem Kokon zu schlüpfen. Das Schlüpfen ist harte Arbeit für den Schmetterling und benötigt Zeit und vor allem alle seine Kraft. Doch dann wenn er sich aus dem Kokon befreit hat und seine Flügel das erste Mal entfaltet und losfliegt, dann haben sich alle Mühe, alle Phasen bis er zu diesem wundervollen Geschöpf geworden ist, gelohnt. Ich selbst kenne alle drei Stadien und werde sie wohl immer wieder durchleben auf meiner Reise durch mein Leben. Die Phase der Raupe, die sich glücklich von Blatt zu Blatt frisst und wenn der Panzer zu eng geworden ist, sich einfach mal kurz häutet und dann weiterfrisst. Doch irgendwann kommt der Tag, an dem eine Sehnsucht in der Raupe erwacht. Sie spürt, dass es noch mehr geben muss, als nur fressen und häuten. Anfangs ignoriert sie diese leise Stimme der Sehnsucht, sie will so weiterleben, so weitermachen wie bisher. Das Leben war doch gut so, es war doch alles ok. Warum sollte es nicht immer so weitergehen? Doch die Stimme der Sehnsucht wird stärker, alles wird auf einmal eintönig und grau. Die Blätter schmecken nicht mehr, der Panzer ist schon wieder zu eng und die Sehnsucht beginnt, übermächtig zu werden. Und so langsam wird die Sehnsucht auch konkret. Es entsteht das Bild eines Schmetterlings in ihr. Doch wie soll das gehen? Wie soll ich Raupe ein Schmetterling werden? Unmöglich! Und so macht sie weiter- mit einer unstillbaren Sehnsucht und mit zunehmender Traurigkeit im Herzen - einfach das, was sie schon immer getan hat: fressen. Es fällt ihr jeden Tag schwerer. Nachts träumt sie davon über die Felder zu fliegen, von Blume zu Blume. Bis eines Tages die Sehnsucht so übermächtig geworden ist, dass sie weiß, wenn sie jetzt nicht springt, es einfach riskiert, dann wird sie zugrunde gehen. Sie hat immer noch keine Ahnung wie sie zum Schmetterling werden soll, doch der Ruf in ihr ist so stark, dass sie das tut was sie instinktiv weiß, was sie tun muss: sie sucht sich einen sicheren Ort und fängt an sich zu verpuppen. Ihr Herz zittert vor Angst vor dem Unbekannten. Wie wird es weitergehen, was wird kommen, wird es eine Zukunft für sie geben, ist es die richtige Entscheidung? Diese nagenden Fragen werden abgelöst von Phasen der Euphorie, des Glücks, der freudigen Erwartung, der Gewissheit, dass es der richtige Weg ist. So geht es die ganze Zeit über, bis der Kokon fertig gesponnen ist. Dann häutet sich die Raupe zum letzten Mal. Sie spürt die Endgültigkeit, die in dieser Tat liegt. Danach gibt es kein Zurück mehr. Und ja, sie hat Angst, es ist ihr so sehr bange davor und doch drängt es sie unaufhaltsam dorthin. Es ist der glasklare deutliche Ruf ihrer Seele, dem sie nun folgt. Nach dem Häuten beginnt die Auflösung. Es fühlt sich wie sterben an. Und es ist auch ein gewisser Tod, den sie stirbt. Es ist ein sehr ekliges Gefühl. Ein Zustand, der kaum auszuhalten ist. Sie ist keine Raupe mehr und sie ist noch kein Schmetterling. Was ist sie? Was soll sie tun? Ihr Körper schreit, ob dieser Auflösung. Ihre Seele, ihr Geist – alles in ihr wehrt sich. Dieses Zwischenstadium, diese Fragilität, diese Einsamkeit, die Ungewissheit, diese Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war – alles ist unsicher, alles scheint im Chaos zu versinken. Und langsam, Schritt für Schritt, kaum merklich, entsteht etwas Neues, der Schmetterling nimmt Form an. Es gleicht einem Wunder! Doch noch ist er nicht lebens- oder überlebensfähig. Und das weiß der kleine Kerl sehr gut. Noch steht die mühsame Befreiung aus dem Kokon bevor. Er spürt, dass er da alleine durch muss. Und er will da durch. Er will sich dem Leben stellen und er verspürt den unbändigen Drang in sich zu fliegen, sich der Welt zu zeigen. Die alte Sehnsucht der Raupe ist auch in ihm und er will das in die Welt tragen, was die Raupe gesehen und für was sie sich auf den Weg gemacht hat. Es ist seine Mission geworden. Langsam und zitternd entfaltet er seine Flügel. Jetzt müssen sie nur noch trocknen und dann ist er bereit sich der Welt zu zeigen. Tiefe Dankbarkeit erfüllt den neugeborenen Schmetterling. Dankbarkeit, dass die Raupe ihrer Sehnsucht gefolgt ist und sich auf den Weg gemacht hat. Dankbarkeit, dass er leben darf und dass die Botschaft der Raupe ganz klar in seinem Inneren ertönt. Ein neuer Lebensabschnitt steht bevor! Ein neues Leben! Noch einmal horcht er in sich hinein, ob er bereit ist für dieses Leben. Und JA! er ist es. Dann breitet er seine Flügel aus und fliegt in die Welt hinaus.

Sie kennen sicher das Gedicht von Rainer Maria Rilke, wobei es kein Gedicht im eigentlichen Sinne von ihm ist. Es wurde nach meinen Recherchen aus verschiedenen Briefauszügen zusammengefügt: „Man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann, alles ist austragen – und dann gebären... Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos, still und weit... Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“ Dieser Text ist sehr tief in mein Herz gefallen und arbeitet dort. Er beschreibt auf so eine schöne und für mich vollkommene Weise, was Traumaarbeit für mich bedeutet. Wie oft war ich ungeduldig, wollte schneller heil werden, wollte mein Trauma loswerden, wollte mein Leben leben, war verzweifelt, ob all der ungelösten Fragen in meinem Herzen. Oder ich habe wie verrückt an meinen Lebensknoten gezerrt und alles, was ich erreicht habe war nur, dass die Knoten noch fester geworden sind, dass es mehr Knoten geworden sind und dass das Ungelöste größer und stärker in mir wurde. Bis ich erkennen durfte, dass ich auf dem Holzweg bin. Bis die Worte der Geduld in mein Herz fanden. Bis ich verstand, dass ich Geduld haben darf und muss mit all dem Ungelösten in meinem Herzen, dass ich all die vielen Fragezeichen in mir lieb gewinnen darf, dass ich sie achten und wertschätzen darf und dass es darum geht, die richtigen Fragen zu stellen und diese dann zu leben! Dadurch gebe ich den Fragen in mir, dem Ungelösten, dem Verknoteten die Chance sich zu lösen, Antworten zu finden, zu gebären, den Sommer zu erleben und die richtigen Schlüssel für die verschlossenen Stuben in die Hand gelegt zu bekommen. Wie oft habe ich es erlebt, dass eines Tages die Frage verschwunden war, weil ich in die Antwort hineingelebt habe. Andere Knoten musste ich geduldig selber lösen, doch auch dies ist eine wertvolle Arbeit. Es lohnt sehr, dran zu bleiben und zu den Geduldigen zu gehören.